Donnerstag, 25. Juli 2019

Die Vereinbarkeit von Krankheit und Leben

Immer wieder liest man von den Problemen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf – dem Spagat zwischen dem Mamasein, einem funktionierenden Haushalt wo stets alles ordentlich und sauber ist, einer ausgeglichenen Partnerschaft, die sich am besten anfühlt wie am ersten Tag, entspannten Kindern…Die Liste könnte ich ewig so fortführen und ich glaube jeder ist auf der Suche nach seiner perfekten „Work-Life-Balance“ wenn wir es mal international ausdrücken wollen.

Man kann sich als Sieger fühlen, wenn man annähernd dieses Ziel für sich selbst erreicht hat, sich wohl fühlt mit allem und im inneren Einklang ist.

Aber in dieser Statistik kommen leider Krankheiten nicht vor. Krankheiten die eine intensive Therapie benötigen.

Eine neue Komponente die nicht unerheblich ist und das ganze bisher funktionierende Konzept über den Haufen wirft und die bisherige „Balance“ ins Wanken bringt.

Bei mir war es nicht die Krankheit die meine Work-Life-Balance aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Als die Diagnose Lipödem kam, war es in jedem Fall ein Schock für mich und bedeutete einen enormen Einschnitt in mein Leben, aber ich habe mich mit den Jahren organisiert gewusst. Arzttermine, zweimal wöchentlich manuelle Lymphdrainage, nach den Fristen direkt neue Kompression ausmessen und bestellen lassen, gesunde ausgewogene Ernährung und ganz viel Sport und Bewegung. So habe ich mir Schritt für Schritt den Weg für die Liposuktionen 2015 bereitet.

Doch dann wurde ich ungeplant schwanger und die Angst wie sich meine Krankheit unter der Schwangerschaft entwickeln würde verfestigte sich mit jeder Schwangerschaftswoche. Wie soll ich all das Stämmen. Bereits in der Schwangerschaft musste ich früh lernen, dass ich nicht mehr so konsequent die Kompression tragen kann, schlichtweg weil ich sie nicht angezogen bekam. Der dicke Bauch vorn dran, aber auch die tauben Hände machten es mir ohne Hilfe unmöglich die Kompression vollständig zu tragen.

Das Ergebnis nach der Geburt (-> hier) war schmerzhaft. Doch das war nur der Anfang wie ich schnell merken sollte.

Nun kam zu meinem gut funktionierenden Alltag in dem sich Beruf und Krankheit harmonisch die Hand reichten eine neue gewaltige Komponente dazu – mein kleines Mädchen.

Mit der Geburt von Lotte hat sich alles wahnsinnig geändert. Regelmäßige manuelle Lymphdrainage war zwar anfangs noch möglich, aber auch diese musste ich mit der Zeit gedanklich und faktisch an den Nageln hängen.

Dank meines Facharztes bekam ich zwar dann die MLD im Hausbesuch verschrieben und da meine Physio nur 150m entfernt war, war auch hier eine fundierte gute MLD gesichert, aber Lotte sah das anders. Anfangs blieb sie mit ihren wenigen Monaten noch still liegen oder wollte nur mal ein Spielzeug gereicht bekommen, aber irgendwann drehte, krabbelte sie sich und brauchte Aufmerksamkeit. Die MLD wurde immer wieder unterbrochen und manchmal fand sie gar nicht statt, weil Lotte weinte oder ich einfach völlig fertig war.

Und hier kann ich von großem Glück reden, dass meine Physiotherapeutin auch meine Freundin war und immer so viel Rücksicht und Verständnis hatte.

Ja auch solche Momente gab es ( Tante Thessi trägt Lotte).


Durch die drei Schichten die mein Partner zudem Zeitpunkt ging war eine regelmäßige MLD einfach nicht wirkliche planbar und dies wurde, als ich dann nach über einem Jahr im Juni 2018 wieder in den Beruf eintrat noch weitaus schlimmer, sodass ich letztlich gar keine MLD mehr hatte.

Ja selbst meine Kompression neu anfertigen zu lassen habe ich dadurch vergessen, sodass ich meine locker über 8 Monate hinweg trug bis sie sogar beidseitig Löcher in den Fersen hatte. Herr Milde von der Ivosa Medizintechnik schlägt heute noch die Hände über den Kopf zusammen, weil er mich sooft erinnerte eine neue zu bestellen, aber es war zeitlich einfach nicht drin, weder der Gang zum Facharzt für ein neues Rezept noch die Zeit ins Sanitätshaus zu fahren.

Letzteres wurde mir dank der Ivosa abgenommen, denn sie kamen eben einfach zu mir auf Arbeit, haben mich vermessen und mir auch später die fertigen Kompressionsstrümpfe gebracht.

Erst als wir aus Leipzig zurück in meine Heimat zogen, wo Oma und Opa uns auch unterstützen konnten, dem Jobwechsel meines Partners aus den Schichtdienst in geregelte feste Arbeitszeiten und der Betreuung Lottes in einer Kita ist es mir seit 2 Monaten wieder möglich regelmäßig zur MLD zu gehen, wenn auch nur einmal anstatt zweimal wöchentlich.

Ein Jahr Zwangspause – ja auch das hat sich spürbar merkbar gemacht, aber dazu ein anderes Mal ausführlich.

Mittlerweile habe ich ein Lympha-mat von der Firma Bösl die mein altes Lymphgerät der Firma SLK abgelöst hat. Dies ist nun seit 2 Wochen täglich im Einsatz und hilft mir bei meiner Behandlung enorm weiter. Ich bin nicht an feste Termine und Zeiten gebunden und kann auch wenn Lotte mal nicht durch Oma und Opa, durch die Kita oder den Papa betreut wird mit ruhigen Gewissens mich eine halbe Stunde „ins Gerät werfen“ und Lotte spielt oder malt neben bei. Aber ich kann auch früh morgens um 5:15 Uhr bevor ich auf Arbeit pendeln muss und die Lotte für die Kita fertig gemacht wird mich vom Gerät lymphen lassen.


Ja es kostet Zeit und es bedarf einer wahnsinnigen Organisation alles unter einen Hut zu bringen, aber es lohnt sich, denn mir geht es besser.


Ich muss ganz ehrlich sagen, als ich noch keine Kinder hatte konnte ich es mir schwer vorstellen, wenn andere Betroffene mir schrieben und genau den Umstand schilderten. Ich dachte immer, das muss doch gehen, aber ich habe mich gewaltig geirrt und dafür ein großes Entschuldigung.

Ich ziehe vor allem Mamis den Hut die alles so super koordiniert bekommen, um nicht nur ihre Arbeit und den Familienalltag zu organisieren, sondern auch sich selbst und ihre Krankheit nicht zu vernachlässigen.

Mir war schon vorher klar und ich habe es immer wieder deutlich gemacht, wie zeitintensiv die Therapie des Lipödems und/oder Lymphödems ist. 

Und so wie man sich entscheiden muss als Frau ob und in welchem Umfang man wieder die Arbeit aufnimmt, um das richtige Gleichgewicht im Spagat zwischen Familie und Beruf zu finden, so muss man sich entscheiden wie viel Zeit hier noch für eine gute Therapie bleiben kann.

Ich vermute mir anzumaßen, dass man je nachdem wie man sich entscheidet, wohl nie ein Optimum erreichen kann, weil irgendwas immer auf der Strecke bleibt und der Tag leider nur 24h hat. Denn gebe ich meiner Krankheit genau die Therapie die sie benötigt, dann braucht es enorm viel Zeit und Geld – Zeit die ich weniger arbeiten kann, mit dessen Verdienst ich meinen Lebensunterhalt und der meiner Familie, sowie die Kosten meiner Therapie sichern und tragen kann, Zeit die ich weniger mit meiner Familie verbringen kann.

Sicher ist Beruf, Familie und Therapie miteinander vereinbar, aber die Frage für welchen Preis.

Man muss sich darüber im Klaren sein, dass man nicht in allen Bereichen 100% und mehr geben kann. Man muss den inneren Frieden finden, wenn alles halbwegs gut „läuft“ und harmoniert, ausgeglichen ist. Nichts vollständig auf der Strecke bleibt.

Mich würden dazu gern Eure Gedanken und Erfahrungen interessieren. Wie bringt ihr Beruf, Familie und Krankheit unter einen Hut? Was bleibt auf der Strecke? Was würdet ihr Euch wünschen?

Schreibt Sie mir gern an lipoedem.blogspot@gmx.de

Eure Anja