Dienstag, 19. Juli 2016

„Boar jetzt hab Dich nicht so!“

So sehr ich mich über meine gewonnene Gerichtsverhandlung gefreut habe, so sehr bin ich doch erschrocken was teilweise für Nachrichten bei mir einflattern.
In meinem Beitrag zur endgültig gewonnen Gerichtsverhandlung hatte ich geschrieben, dass ich das Urteil nur unter gewissen Voraussetzungen – also Schwärzen aller wesentlichen personenbezogenen Daten - veröffentlichen darf und dies einige Zeit in Anspruch nehmen kann. Die Anweisung kommt u.a. von meiner Anwältin und ist auch berechtigt. Man kann nicht einfach alles im Internet veröffentlichen, wie es einem passt, da einen selbst rechtliche Konsequenzen drohen. So sind auch Anschreiben der KK „persönliche Schreiben“, die, wenn man es streng nimmt, nicht veröffentlicht werden dürfen ohne die Zustimmung des Verfassers. Durch meinen Blog haben tausende weltweit Zugriff auf diese Daten, sodass eben eine Veröffentlichung nicht einfach mal so schnell erfolgen kann.

Vielen ging das aber nicht schnell genug und man wollte das Gerichtsurteil und zwar sofort und am liebsten solle ich es ihnen privat per Email schicken oder doch besser abfotografieren und via Whatsapp weiterleiten, sie können mit dem Aktenzeichen schließlich nichts anfangen…
Die Dreistigkeit scheint teilweise keine Grenzen zu kennen.
Und daher sage ich es gern nochmal – ich mache all das hier freiwillig, ehrenamtlich und ohne Geld. Es ist meine Freizeit die ich dafür investiere, um für viele zu kämpfen und es macht mich unendlich traurig und wütend, dass viele einfach nur verlangen und mir dann Sätze schreiben wie „Boar jetzt hab Dich nicht so!“ Menschen, die nur für sich selber kämpfen, um ihren eigenen Arsch an die Wand zu kriegen, aber denen es egal ist, was mit anderen ist, die noch dumme Kommentare unter besorgte Postings anderer schreiben oder die sich eben nur dann zucken, wenn sie für sich und ihren eigenen Vorteil etwas abzapfen können.

Ich erinnere mich noch an meinen eigenen Aufruf, wo ich Eure Unterstützung gebraucht habe - viele haben ja eine Kostenübernahme durch ihre Krankenkasse - und um Eure Kostenübernahmen gebeten habe, damit ich diese als weiteres Argument in der Gerichtsverhandlung anbringen kann.
Nur eine einzelne liebe Lipödempatientin hat mir ihr Schreiben zur Verfügung gestellt, eine einzige...

Vielleicht bin ich auch anders und habe ein überhöhtes Helfersyndrom, aber auch das hat Grenzen. So auch bei der Tatsache, dass mich ständig Emails erreichen mit den Worten „Ich habe Deinen Blog gelesen…“ und im nächsten Satz „Kannst Du mir mal das Aktenzeichen geben?“ „Was muss ich bei der Beantragung der Liposuktion beachten?“ „Was hat Deine Liposuktion gekostet“ „Bei welchem Arzt?“…also wenn man meinen Blog liest findet man auf all diese Fragen auch die entsprechenden Antworten. Sicherlich muss man sich hier und da etwas durchklicken, aber man findet relativ einfach die wesentlichsten Beiträge.
Ebenso bietet mein Profil bei limipi umfangreiche Antworten auf die wesentlichsten Fragen, man muss sich eben einfach mal etwas bemühen.
Ich hab mich schon oft bei den Videos von Steffi amüsiert, wie informativ sie alles zusammen packt und sie dennoch hundert Mal dieselben Fragen gestellt bekommt. Man fragt sich ob die Menschen richtig zuhören bzw. lesen können. In ihren Live-Blogging Aktionen auf Facebook, die ich stets aus Interesse verfolgte, kamen die Fragen immer und immer wieder in EINEM Video…*oh man*

Es ist nicht das Problem offene Fragen zu beantworten, sondern die Tatsache, dass man all das schon hundert Mal gemacht hat, aber jeder offensichtlich eine eigene Beratung braucht und möchte, aber dies ist logistisch einfach nicht möglich. Man kann nicht jeden einzeln beraten, zum einen weil wir keine Fachärzte, Anwälte oder Gutachter sind und auch aus zeitlichen und rechtlichen Gründen dies total den Rahmen sprengt.

Und wenn wir gerade dabei sind mal gewissen Dingen Luft zu machen hier noch ein anderes Problem, was mich zur Zeit echt frustriert:
Eine mutige Lipödempatientin hat eine, wie ich finde, wunderbare Idee gehabt eine Menschenkette entstehen zu lassen. Seit dem die Idee bekannt ist sind es nicht mal 100 Personen die an der Veranstaltung am 01.10.2016 in Essen teilnehmen…ganz ehrlich? Es ist erbärmlich und ihr müsst euch alle nicht wundern, wenn sich in Sachen Lipödem nicht viel tut. Von nichts kommt nichts und es wird sich nie groß positiv etwas verändern, wenn man nicht seine Stimme erhebt. Wenn nicht „gemeckert“ wird, geht man davon aus alles ist ok und man müsse nichts ändern.
Die die Teilnehmen sind wieder die, die sich immer und jedes Mal engagieren, der übliche „harte Kern“, wie man so schön sagt, die meisten sind alles Mitglieder des Lipödem Hilfe Deutschland e.V.

Dies und die vielen unzähligen Emails, die wie gesagt oft einfach nur fordernd und dreist waren, haben mich dazu veranlasst, das Urteil über meine Gerichtsverhandlung NICHT auf meinem Blog zu veröffentlichen. Ich habe es bereits an meinen Lipödem Hilfe Deutschland e.V. übersandt und es wird nur Vereinsmitgliedern weiter gegeben, die es in ihrem Kampf benötigen. Trotz Millionen betroffener Frauen sind nur ein ganz geringer Teil davon Mitglied in unserem Verein. Der Verein, der mir von Anfang an zur Seite stand und der für Euch ALLE schon so viel erreicht hat und immer weiter kämpft.
Wo ist das Problem, dass jeder der Lipödem hat und Hilfe braucht da Mitglied wird?! Wo? An den 24 € Jahresbeitrag? Ich bitte Euch, das sind 2 € im Monat…Selbst als ich Azubi war und wir wissen alle das Azubis nicht gerade an Reichtum sterben, habe ich mir das geleistet, weil mir klar war, dass ich diese Hilfe und Unterstützung brauche.
Umso größer der Verein, umso stärker ist unsere Stimme auch in der Politik. Wir haben es als Hilfeverein sogar geschafft, dass unsere drei aus unserem Hilfeverein im Beratungsausschuss des GBA sitzen und mit über die Frage ob die Liposuktion Kassenleistung wird oder nicht diskutieren und beraten – auf diese Entscheidung warten wir alle seit Jahren und ihr alle bezieht euch in euren Emails, die ihr mir schreibt, darauf.

Die Reaktionen auf meine Mails mit der Absage und den Verweis auf den Verein kann man sich vorstellen „Boar hab Dich nicht so!“ „Ist das jetzt Dein ernst, wie assi bist Du denn!“…ja das bestärkt mein Denken und meine Entscheidung. Jenen Damen wünsche ich viel Erfolg bei ihrem Kampf. Ich leiste genug und mir ist wichtig das jene, die seit Jahren ebenso hart für alle kämpfen, Vereinsmitglied sind, nun auch mal entscheidende Vorteile haben.

Bitte vergesst nicht, dass das Lipödem auch nach vollzogener Liposuktion immer einen gewissen Bestand in euren Leben hat, sei es, weil ihr aus der jahrelangen Nichtbehandlung des Lipödems ein sekundäres Lymphödem habt, sei es, dass ihr Kinder bekommen wollt und diese ja ebenso Betroffen sein können, sei es, weil Freunde, Bekannte oder Verwandte betroffen sind.
Sicherlich schließt man persönlich irgendwann das Kapitel „Kampf gegen das eigene Lipödem“, aber es ist ein Teil von uns, der uns geprägt und verändert hat.

An dieser Stelle danke ich all jenen die mir immer offen und freundlich gegenüber stehen, jenen, denen ich mit meinen Beiträgen Mut mache nicht aufzugeben und auch einen Halt gebe, mit der Krankheit nicht allein zu sein.
Zum Glück überwiegen die lieben positiven Emails, aber für mich war das Maß jetzt einfach voll und ich musste mir mal Luft machen.

Ich wünsche mir, dass wir alle mehr zusammen halten und gemeinsam kämpfen.

Eure Anja